HELMUT LODER'S Adventkalender
Türen ins Licht |
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9 „Treten Sie näher, kaufen Sie ein!“
Von Geschäftstüren und anderen Schwellenbereichen

Der Fahrstuhl kommt. Endlich, nach einer halben Ewigkeit. Im Warenhaus ist Hochbetrieb. Kurz vor fünf. Kurz vor Weihnachten. Die Tür fließt lautlos zur Seite. Ein Menschenhaufen ploppt heraus. In das quadratische Loch drängen andere hinein, stellen sich in die Enge, pressen ihre frisch gefüllten Sackerln und Handtaschen vorsichtig an sich und warten darauf, dass jemand auf den Knopf drückt. Damit die Tür zugeht. Sie müssen da weggehen, sonst geht die Tür nicht zu, und wir können nicht fahren! Ein Alptraum. Wehe, der Lift fällt aus. Daran möchte niemand denken. Und wenn sich die Fahrstuhltür endlich schließt, verstummen die Menschen. Erster, zweiter, dritter Stock. Entschuldigen Sie, ich möchte aussteigen ...

Wer möchte wirklich aussteigen? Die Zeit drängt. Die Menschen drängen. Auf die Straße, in die Geschäfte. Es entsteht der Eindruck, als bestünde Advent und Weihnachten lediglich aus Besorgungen, Erledigungen, Einkäufen. Riesige Menschenmengen sind in diesen Tagen unterwegs. In ihren Autos oder mit der Straßenbahn hinein ins Stadtzentrum, ins Einkaufszentrum, gehetzt und mit dem berühmten suchenden Blick. Sie suchen alle das gleiche: Geschenke. Weihnachten reduziert sich anscheinend für viele Zeitgenossen auf die Suche nach dem passenden und einmalig günstigen, selbstverständlich absolut persönlichen Geschenk.

Treten Sie näher, kaufen Sie ein. Die Eingangstüren der Warenkirchen – der wahren Kirchen? - sind sperrangelweit offen. Manche bewusst, andere können sich zu bestimmten Zeiten gar nicht mehr schließen, so groß ist der Andrang. Überall in diesen seltsamen Tagen. Sie bleiben nicht passiv, warten, ob jemand den entscheidenden Schritt wagt, sie locken und laden ein, verlocken zu einem unverbindlichen Gustieren, Sich-Umschauen, vielleicht findet sich etwas zum Mitnehmen, wer weiß? Die Abteilungen für Dekoration und Schaufenstergestaltung haben sich einiges einfallen lassen, dass die eigene Eingangstür, Geschäftstür von der „weihnachtlichen Jagdgesellschaft“ nur ja nicht übersehen, missachtet und schlussendlich übergangen wird! Die Beleuchtung muss stimmen, blinkende blitzende Lichtorgien überschütten die Eintretenden, ein verführerisches Aroma von allen möglichen Back-Ingredenzien, Lebensmitteln und Kosmetikdüften liegt in der Luft, betäubt die aus der Straße Kommenden ein wenig und geleitet sie sehr bestimmt weiter hinein in die Tiefe des Refugiums der erfüllbaren Wünsche. Natürlich sind die Geschäftstüren besonders markant herausgeputzt mit Tannenreisig und flatternden Geschenksbändern, mancherorts auch mit dem modisch aufgemotzten Adventkranz über der Tür oder knapp dahinter.

Auch die kleineren Lokale sind vom Wettbewerb nicht verschont geblieben. Hie und da sieht man das Nonplusultra an Gestaltungskunst: Türen, beklebt mit flotten aufmunternden anbiedernden Weihnachtssprüchen, die allesamt nur das Eine verheißen: Hier gibt es das totale Glück zu kaufen, hier ist die Freude für Weihnachten billiger zu haben als anderswo. Hier muss man zugreifen. Nicht ohne zu bezahlen. Denn über allen schwebt die allgegenwärtige kontrollierende Videokamera im Kreisverkehr und erinnert die Käufer, dass jedes Vergnügen, auch das Einkaufen, eben seinen Preis hat.

Eingangstüren als erste öffentliche Visitenkarte eines Unternehmens, des Warenhauses. Im Advent mehr als später. In manchen Einkaufszentren wähnt man sich beim Eingang wie in einer Hotelhalle: Gläserne Treppen, eine Weihnachtsinsel mit einem Plastik-Klon von Nadelbaum, die Delikatessenbar gleich dahinter. Vorne stehen die Wühltische mit dem neuesten Tages-Superangebot. Nur für heute! Ob das überall schon so aussieht?
Vis-a-vis muss die Eingangstür noch händisch geöffnet werden. Und schöpferisch ist bestenfalls der ausgeleierte Türgriff, fast schon eine Hemmschwelle. Doch der Verkäufer ist freundlich und sein müder Blick verrät keine Ungeduld oder Unmut, wenn ein Kunde mehr fragt als er kauft. Im Einkaufszentrum kommt der Fahrstuhl zurück, die Tür öffnet sich für die Aussteigenden und Wartenden. Die Schwerarbeiter unter den Türen werden noch einige Zeit zu tun haben. Arbeitslos bleiben sie nicht. Links hinten im Fahrstuhl hängt ein Plakat, tannengrün mit goldenem Schriftzug: „Weihnachten ist Liebe seit Jahrhunderten“.