HELMUT LODER'S Adventkalender
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13 „Bist du es, der da (an)kommen soll?“
Der Bahnhof in unserer Stadt

Zur Zeit ist es still auf dem Bahnhofsvorplatz. Nur ein Windstoss treibt ein paar übriggebliebene Blätter über die Geleise. Aus den riesigen Schornsteinen der Fruchtsaftfirma im Hintergrund qualmt es, ein Postbus biegt um die Ecke und fährt sofort weiter. Kein Mensch steht auf der Haltestelle. Ein Bahnhof im Advent.
Im Südwesten unserer Stadt erstreckt sich über eine relativ große Fläche der Bahnhof, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für die Region. Wer den inzwischen in die Jahre gekommenen und auf den neuesten Stand gebrachten Bahnhof durch den Haupteingang betritt, über den kleinen Warteraum auf den Bahnsteig hinaustritt, sieht sofort, hier wurde investiert. Jahrelang dümpelte der schlichte Zweckbau vor sich hin. Die Bahn hatte kein Geld für eine Erneuerung der Substanz. Aber seit einiger Zeit hat er sich gewaltig verändert. Betonsockel wachen entlang der Gleisstränge. Neue Ziegelwände wurden hochgezogen, vieles ist noch tiefverschneit.

Der Bahnhof, ein Ort des Aufbrechens. Viele Jahre bin ich als Fahrschüler frühmorgens mit dem Zug nach Graz gefahren und erlebte Zeiten des Wegfahrens, des Ankommens und Erwartetwerdens. Wer genauer hinschaut, sieht im Bahnhof große leicht vergilbte Fahrpläne hinter Glas, grell leuchtende Neonröhren im Warteraum mit intensiv orangefarbenen, abgewetzten Plastiksesseln. Reklametafeln, ein vollgestopfter Infoständer mit Superangeboten fürs Bahnfahren im Winter („Wedelweiß“) und eine geschmacklos große Uhr zur Orientierung vervollständigen das karge Mobilar. Ein liebevolles Detail: Der Schalter der Personenkassa ist adventlich geschmückt. Ein Strohstern und zwei Meter Glitzergirlanden beweisen den fortgeschrittenen Stand des Kirchenjahres. Vor dem Warteraum stehen mit Tannenreisig belegte Blumenkästen herum und eine Tafel zeigt die Seehöhe an: 350 m. Gegenüber vom Bahnhof hat sich das AMS, das Arbeitsmarktservice, einquartiert. Vor dem Gebäude die übliche Telefonzelle und in der Verlängerung der Imbiß mit Gastgarten, aber nur im Sommer. Unter dem weit vorgezogenen Dach sitzen je nach Uhrzeit wartende Fahrgäste oder einfach Menschen, die andere abholen, erwarten, willkommen heißen wollen.

Ein kleiner, gut frequentierter Provinzbahnhof. Über 70 Züge fahren täglich in den Bahnhof ein, bringen Menschen an den Arbeitsplatz, in die Hauptstadt, zu Bekannten und Freunden. Der Bahnhof als Ort der Begegnung, der Wiedersehensfreude, des Abschiednehmens, ein Hoffnungsort und Haltestelle für Enttäuschungen. Wird er oder sie im Zug sein? Welche Nachricht bringt der Ankommende mit sich?

In einem adventlichen Sonntagsevangelium wird die Frage gestellt: Bist du es, der da kommen soll? Oder sollen wir auf einen anderen warten? Auf wen warten wir im Advent?

Im Bahnhof warten fast ständig Menschen auf Ankommende. Andere brechen auf, zu einem neuen Abschnitt in ihrem Leben, zu einer Hoffnung, zu einer Liebe oder zu etwas Ungewissem. Wieviel Freude und Glück, wieviel Angst und Verzweiflung, Resignation und Einsamkeit sind im Bahnhof, im Warteraum gespeichert, angesammelt?

So kann jeder kleine Bahnhof ein gutes Bild für den Advent sein, für die Frage: Bist du es, auf den ich warte? Bist du schon angekommen?

Wir holen oft Auskunft ein beim Schalter, wir fragen und erbitten Information und Aufklärung. Advent ist eine Zeit der Fragen, nach dem, der Gott sichtbar machte, nach Jesus, der uns im Kind von Betlehem begegnet und später als Retter, Gesalbter und Aufersteher bekannt wurde.

Im Advent auf dem Bahnhof des Lebens auf IHN warten, auf sein Ankommen, das ist eine spannende Sache. Wie sagt der bekannte deutsche Essayist und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger: „lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne: sie sind genauer, roll die seekarten auf, eh es zu spät ist, sei wachsam, ...“

Drei Minuten noch zum Nachdenken:
Welche Assoziationen verbindest du mit dem Bahnhof im Advent?
Ist eine Bahnfahrt nicht auch ein treffendes Bild für die Lebensreise?