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Ein Fastenprojekt von Helmut Loder


Remove - ausbauen # 34. [montag]

Fasten-Zeit. Leer-Zeit gegen die Fülle. "Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit" schreibt Kohelet. Auch fürs Leerwerden. Befreien vom Überflüssigen. Fest-Tage der Umkehr. Zurückschrauben die Wünsche und Begierden. Regelmäßige Leer-Zeit für Körper und Geist. Eine Fastenkur für die Seele.

Die 40 Tage sind aber auch Lehr-Zeit. Paolo Brenni schreibt:

Lehre mich stillsitzen, damit ich hernach umso mehr laufen kann.

Lehre mich schweigen, damit ich hernach umso wahrer reden kann.

Lehre mich die Augen schließen, damit ich hernach umso deutlicher sehen kann.

Lehre mich die Ohren zuhalten, damit ich hernach umso besser zuhören kann.

Lehre mich fasten, damit ich hernach umso mehr kosten kann.

Lehre mich verzichten, damit ich hernach umso dankbarer nehmen kann.

Ein wunderbarer Text über eine intensive Lehr-Zeit. Schweigen, verzichten, "blind sein". Fasten mit allen Sinnen. Konzentrieren, verdichten. Sich die Zeit nehmen. Sich verwandeln (lassen). Anselm Grün spricht von einem "Weg mit Zeit", bewusster und tiefer zu leben! Nicht einfach verschließen, verstopfen und abschotten.

Schweigen, damit die rechten Worte wachsen können. Still sitzen, damit der Körper Kraft tanken kann.

Augen schließen, damit die Wahrnehmung schärfer wird. Taub werden, damit sich die Ohren erholen können. Fasten, um das Genießen und die Dankbarkeit neu zu erlernen.

Pfarrer Markus Plöbst hat im vorigen Jahr ein Buch herausgebracht: "Die Leere des Menschen". Nach Ansicht des Verfassers setzt Buße ein Umdenken voraus, das durch Loslassen und Askese eine innere Leere zur Folge hat, die wiederum einen Neuanfang ermöglicht. Erst in dieser inneren Leere findet die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu Christi ihren Platz. Das Buch regt an, die Welt mit all unseren Sinnen bewusst zu erleben und die "alltägliche Leere" mit Besinnung, Hinterfragen und "Bewusstem-Erleben" aufzufüllen. Mehr als die Fastenpredigten eines Landpfarrers.

Fasten-Lehrling sucht Praxis und Stelle! Steht seit Aschermittwoch unsichtbar auf unserer Haustür. Wir bleiben dran. Damit die Lehr-Zeit eine gute Weg-Zeit wird. Herr, lehre uns Geduld und Ausdauer, damit wir in unserem Bemühen für ein Leben der Suche nach Gott nicht müde werden .

 


Remove - Hindernisse aus dem Weg räumen # 35. [dienstag]

Das Bild des Tages. Das Foto der Woche. Die großen Agenturen liefern ununterbrochen Bilder zum Weltgeschehen. Meist sind es Politiker, Prominente, Stars oder Künstler. Lebende oder Tote. Verletzte, verrückte, verliebte. Manchmal ist eines darunter, das einen innehalten lässt. Und einen Menschen zeigt.

Ein Fastenbild der besonderen Art. Im Vorjahr sah ich ein solches. Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Ein Gesicht in Großaufnahme. Iraker, 33 Jahre alt. Abas Amini. Stand darunter. Aufenthaltsort Großbritannien.

Im Hungerstreik. Deshalb hat er . sich die Augen und den Mund zunähen lassen. Deutlich sichtbar. Ich war erschrocken. Gebannt sah ich hin. Ein Mann wehrt sich. Gegen die Abschiebung. Tritt in den Hungerstreik. Kämpft wie verrückt. Ist er das? Warum tut er so etwas? Was hat ihn bewogen, sich dieser Tortur auszusetzen?

Sonst stand nichts in der Zeitung. Ob er Erfolg gehabt hat oder abgeschoben wurde. Ob er aufgegeben hat? Ein Bild lässt aufhorchen. Ein erschreckendes Dokument. Ein Mann greift zu seinem letzten Mittel. Benutzt seinen Körper, um sich zu wehren. Das Bild hat sich eingebrannt in meinen Kopf.

Abas Amini trat in den Hungerstreik. Sehstreik. Essstreik. Machte auf sich aufmerksam.

Das Bild des Tages, der Kopf der Woche . Ein Mann schaut nach innen. Unfreiwillig. Mit allen Konsequenzen. Ein Mensch ist verstummt. Er redet nicht mehr. Sie haben ihm etwas weggenommen. Die Hoffnung, den Glauben an eine solidarische Welt.

Er wehrt sich. Ohne Gewalt. Nur mit seinen Augen und seinem Mund. Ein herausforderndes Fastenbild.

 


Remove - zurückführen # 36. [mittwoch]

Dosen.Futter. Ein Slogan aus der Werbung. Dosen gehören zu unserem täglichen Leben. Viele Lebensmittel sind nur in solchen blitzenden Aluminiumbehältern zu kaufen. Müssen entsorgt werden. Sind für viele eigentlich recht wertlose Gegenstände.

Ich lade ein. Zu einer Phantasiereise: Stell dir vor, du bist auf einer Müllhalde. In Brasilien, Kairo, oder in einem Slum von Kapstadt. Es riecht nach verschimmeltem Gemüse, nach verbranntem Plastik und nach Kompost. Anziehungspunkt für Ratten und Fliegen. Krankheiten. Du suchst wertvolle Gegenstände: Glas, Gummi, Metall . Du willst leben. Davon leben. Mit einem Stock durchstöberst du die Müllhalde. Aus dem Abfallberg blitzt etwas hervor: eine Dose. Aus Blech. Verdreckt. Aber wertvoll für dich.

Was war darin? Hundefutter, Erdnüsse, Cappuccino-Kaffee, Fanta oder Cola? Was steht auf der Dose? Riecht sie noch? Graut dir davor? Wie greift sie sich an? Vorsicht, die Kanten sind gefährlich, du könntest dich daran verletzen . Müllsammeln ist kein leichtes Geschäft. Müll ist gefährlich: vielleicht fließen irgendwo alte Chemikalien herum?

Dreck, Schmutz, beißender Geruch. Dazwischen hie und da Dosen. "Gold" für viele Menschen. Für Kinder und Erwachsene. Für Müllsammler. Auf der Suche nach wertvollen Dosen.

Übrigens: "Ein US-Bürger verbraucht in seinem Leben 1520 Tonnen neuer Materialien. In den USA wandern pro Jahr insgesamt 2,3 Millionen Tonnen Aluminium zum Müll. Die acht größten Industrienationen der Welt verbrauchen zwei Drittel der Weltproduktion an Aluminium, Kupfer und Blei."

Wer weiß schon, dass bei einer Coladose die Herstellung des Aluminium-Behälters teurer ist als der Inhalt? Eine Dose: offen, aufgerissen. Wertvoll? Wertlos? In unseren Gebetstexten heißt es manchmal: Lass mich sein wie eine Schale, Gott. Müsste es nicht heißen: Lass mich sein wie eine Blechdose?

Verbunden mit der Tiefe der Erde, aus der das Bauxit oder der Zinn kommen, verbunden mit den Menschen, die bei ihrer Herstellung unter die Räder geraten, verbunden mit den Menschen, die von ihrer Produktion profitieren, verbunden mit den Spekulanten, die mit dem Steigen oder Fallen der Aluminiumpreise Gewinne erzielen, verbunden mit den Müllsammlern, die sie auf den Müllhalden dieser Welt wieder finden?

Remove. Zurückführen. Gott, in der Bibel gab es noch keine Blechdosen. Aber Menschen, die ihr Sehnen und Hoffen vor dich getragen haben. In Millionen Dosen steckt das Leid und die Not vieler Menschen, ihr Leben und Tod. Du Gott des Lebens, beschenke uns mit deiner Nähe und Phantasie, damit wir nicht einfach Dosen.Futter sind - oder werden - für die Reichen dieser Welt.

 


Remove - ausräumen # 37. [mittwoch]

Fastenzeit - Trostzeit. Trost erfahren. Tut gut. Von Menschen. Getröstet werden. Selig, die trösten. Und getröstet werden. Zu vieles ist so trost-los. Eine Geschichte ist mir dabei untergekommen.

In einem kleinen Dorf wohnte ein großes Glück. Ein Mann und eine Frau bekamen ein Mädchen, das der Sonnenschein aller wurde. Eines Tages wurde das Kind vor den Augen der Eltern auf der Straße überfahren.

Das ganze Dorf nahm Anteil an der Trauer der Eltern. Auch nach über einem Jahr war die Mutter über den Verlust ihres Kindes untröstlich. Sie konnte keine Kinder mehr spielen sehen ohne bitteren Gedanken. Langsam wuchsen in ihr Hass und Zorn, Neid und Eifersucht auf alles Lebendige und Gesunde. In ihren Gedanken lebten alle Menschen glücklich und zufrieden. Nur sie war geschlagen und voller Leid.

In ihrer Not ging sie zum Pfarrer. Der bat sie, durch das Dorf zu gehen und sich aus jedem Haus, in dem kein Leid wohnt, eine Blume zu erbitten. Mit einem Strauß sollte sie dann nach einer Woche wieder kommen. Die Frau ging durch ihr Dorf von einem Haus zum anderen. Als sie nach einer Woche zum Pfarrer kommt, hat sie nicht eine einzige Blume, aber einen Strauß von Erfahrungen. Sie musste erleben, dass in jedem der Häuser ein Leid wohnt, eine Not ist oder Trost nötig war. So konnte sie manche Leuten aus ihrer eigenen Schmerzerfahrung beraten und ihnen beistehen. Das war der Anfang einer inneren Heilung.

Fastenzeit ist für viele eine scheinbar sehr trostlose Zeit. Grau, langweilig, einfach trostlos. Tote Hose. Wir sollten aber immer daran denken, dass wir es selbst in der Hand haben, zu trösten. Trost zu spenden, damit die Angst kleiner wird. Damit die Hoffnung wachsen kann.

Vom Neidvollen Umschauen wird niemand lebendig. Aber Blumen der Solidarität und des Mitfühlens könnten wir pflücken. Bei uns daheim, in unserer allernächsten Nähe. Dann wir Heil sichtbar. Und Trostlose getröstet.

Die Geschichte stammt aus: Axel Kühner, Überlebensgeschichten für jeden Tag, S. 47, Aussaat Verlag GmbH, D-47506 Neukirchen

 


Don't remove - nicht weglaufen # 38. [mittwoch]

Fasten verbinden viele mit "standhaft sein" oder "standhaft bleiben". Einen Standpunkt haben. Ich faste. Ich halte durch. Weniger als ein Mehr an Lebensqualität.

Standhaftigkeit war immer schon eine Tugend. Eine Haltung. Lebenspraktisch, dem Leben dienlich. Da sein können, bei der Sache bleiben, beistehen, zu jemandem stehen. Halt sein, Halt geben, das dient dem Leben. Fasten kann eine solche Haltung sein.

Steherqualitäten sind heute gefragt. Mehr denn je zuvor. Gefragt im Privaten, im Öffentlichen, im Wirtschaftlichen. Gefragt sind sie, weil sie so notwendig sind. Weil sie notwendend sind. Erwünscht sind sie, weil sie nicht mehr selbstverständlich sind. Wie Fasten. Sich beschränken.

Oft und schnell geht's an die Grenzen der Standhaftigkeit. Die Flucht ist mindestens so alt wie der Angriff. Und viele denken: Ein bisschen Nachgeben schadet nicht. In öffentlichen Gebäuden sind die Fluchtwege gut markiert. Die Notausgänge hell beleuchtet. Wir alle kennen aber auch die privaten Hintertürchen. Und halten sie offen. In einem Buch fand ich einmal Fluchtwege so aufgelistet: Das Unbewusste, die Geschichte, die Sexualität, die Drogen, Leistungssport, die Betriebsamkeit und der Hinweis: alles, was du tust, könnte zur Flucht werden. Es muss also schon etwas dran sein an den Fluchtwegen.

Davonlaufen braucht Kraft. Die Standhaftigkeit sicherlich mehr. Woher nehmen dann die Standhaften ihre Kraft? Vielleicht erlebten sie, dass Gott Steherqualitäten hat?

Steherqualitäten sind notwendig. Sie dienen dem Leben. Und was dem Leben dient, das bleibt immer gefragt.

Ich faste. Manchmal ist mir dabei zum Davonlaufen. Aber ich bleibe. Suche meinen Standpunkt. Und das ist meist eine schwere Arbeit. Steherqualitäten sind gefragt. Das tröstet mich. Wenn mir die Fragen nach dem Sinn - nicht nur des Fastens - über den Kopf wachsen.

 


Remove- (ab)lösen # 39. [samstag]

Die spannendsten Geschichten schreibt das Leben selbst. In seiner schrecklichen Vielfalt. Manchmal können wir daran teilhaben. Hinschauen und hinhören. Zum flüchtigen Konsum sind sie nicht geeignet. Vielmehr ein bewusster Akzent gegen die Belanglosigkeit. Eine Alternative. In einer immer schriller und hektischer werdenden Lebenslandschaft.

Als am 3. Juni 1998 um 10.59 Uhr der ICE "Wilhelm Conrad Röntgen" in Eschede entgleiste, ahnte der Berufsberater Heinrich L. aus Vilshofen, dass "etwas passiert war, was mein Leben unabsehbar verändern würde". Seine Frau Christl und seine ältere Tochter Astrid hatten sich im Zug befunden. Die Bergung der Opfer vollzog sich quälend langsam und unter unglaublichen psychischen Belastungen für die Retter. Die folgenden Stunden und Tage haben sich tief in die Erinnerung des heute 58-Jährigen eingegraben. Am Samstag, 6. Juni 1998, kommt die Polizei zu ihm. Astrid ist unter den Toten. Erst eine Woche nach der Katastrophe hat Löwen auch Gewissheit über den Tod seiner Frau.

Nach Eschede war die Welt eine andere. Ein Film von Andrea Bala und Eric Asch. Trotz der unvorstellbaren Trauer, die ein einziger, auf sich allein gestellter Mensch vielleicht gar nicht aushalten könnte, macht Heinrich L. weiter, um seiner anderen Tochter, seiner verlorenen Familie, anderen Betroffenen und seiner selbst Willen. Er spricht mit Menschen, die ähnliches durchmachen müssen, kämpft als Sprecher der Hinterbliebenen um ihr Recht.

"Nach Eschede war die Welt eine andere" ist der erste Film der Reihe "Lebenslinie", die in Co-Produktion mit der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film entstand. Den Studenten Andrea Bala und Eric Asch gelang es dabei, den auf seinem Bauernhof sehr zurückgezogen lebenden Heinrich Löwen für ihren einfühlsamen Film zu gewinnen. Ihnen geht es um eine "Geschichte von Würde". Sie erzählt, wie ein ganz normaler Mensch plötzlich durch unvorhersehbare Ereignisse von überdimensionalem Ausmaß betroffen wird. Und besteht.

Er war allein. Er hatte seine Frau verloren. Sein Kind. Aber er verlor nicht den Glauben. An die Zukunft. Sie war in weite Ferne gerückt. Nebulos. Konturlos. Und doch hat er nicht aufgegeben. Er verlor sich nicht im Schmerz.

Nach Eschede war die Welt eine andere. Für Heinrich L. Für viele andere. Und so geht es Tag für Tag. Verlust, Trauer. Entsetzen und die unbeantwortbare Frage: Warum? Warum gerade sie?

Übrigens: Die Sendereihe "LEBENSLINIEN" wurde aufgrund ihrer Qualität 1996 mit dem Bayerischen Fernsehpreis gewürdigt. In der Regel kommen Menschen zu Wort, die uns mit ihrer persönlichen Geschichte etwas zu sagen haben. Das kann ermutigend, anregend und nachahmenswert sein, es darf aber auch beunruhigend oder gar abschreckend sein. Denn: Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Anderen erfahren wir ja immer auch ein Stück über uns selbst.

 

2004

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