HELMUT LODER'S Adventkalender
Türen ins Licht |
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8 „Maria – Die Tapetentür Gottes“
Von der Pforte des Lebens und einem verlorenen (Feier)Tag

Sie ist wirklich unscheinbar, fast unansehnlich. Die Eingangstür zur Marienkirche in unserer Stadt. Vom Staub der unmittelbar daran vorbeiführenden Straße verschmutzt, bietet sie einen recht trostlosen Anblick. Schlicht, unauffällig, schmucklos, der Lack blättert ab. Heute sieht das kaum jemand. Die Menschen haben es eilig. Sie gehen einkaufen. Alles ist billiger heute. Sagen die Geschäftsleute. Wir schreiben den 8.Dezember, vormals ein Marienfeiertag. Heute Familieneinkaufstag, konsumentenfreundlich, gewinnträchtig eingerichtet. Millionenumsätze werden prognostiziert und der obligate Stau vor den großen Shopping-Centers ist einkalkuliert. Das Fest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter. Ein verlorener (Feier)Tag. Die Tür zur Marienkirche hat schon andere Zeiten erlebt.
Auch sie ist zeit ihres Lebens unauffällig geblieben: Marlen Haushofer, 1920 in Oberösterreich geboren, österreichische Staatspreisträgerin für Literatur, hat trotz einiger hochgepriesener, psychologisch fein geschliffener Romane („Die Wand“, „Himmel, der nirgendwo endet“, „Die Mansarde“) nie den Durchbruch geschafft. Sie zeichnet sehr subtil sympathisch orientierungslos gewordene Durchschnittsmenschen auf ihrer Suche nach Halt, Sinn und Glück des Lebens. Ihr zweites Buch, „Die Tapetentür“, machte sie einigermaßen bekannt. Sie schildert darin seltsam schwerelos, atmosphärisch dicht und traumverloren einen kurzen Abschnitt der Lebensgeschichte der Bibliothekarin Annette, deren Ehe mit dem Rechtsanwalt Gregor nach der Totgeburt ihres gemeinsamen Kindes scheitert. Für Marlene Haushofer spielt eine Tapetentür als Symbol für die versteckte uneingestandene Sehnsucht nach Licht und dem Geheimnis des Dahinterliegenden eine große Rolle. „Wie war es nur möglich gewesen, dass sie acht Monate die Wand vor Augen gehabt hatte, ohne die Tür zu sehen? Wohin führte sie nur? Aber sie konnte ja nirgendwohin führen. Und dann schwang die Tür lautlos auf. Also doch ein Traum. Annette setzte sich auf und starrte in das dunkle Viereck. Ganz ferne konnte sie einen schwachen Lichtschein sehen, der langsam näher kam ...“
Eine Tapetentür, geschildert als Eintrittstor in eine andere Welt. Scheinbar finster, dunkel, ohne wirkliche Bedeutung, nicht für jeden sichtbar, nur den Aufmerksamen geoffenbart, gefährlich und bedrohlich. Aber ein ferner Lichtschein kommt näher, zeigt an, dass hier mehr dahinter steckt! Ein Bild für den Advent. All das Dunkle, Drohende, das über diesen Tagen liegt. Mitten drin die Verheißung des Lichts. Der Erlösung.

Sie wurde in alten Hymnen und Liedern gern als „Pforte des Lebens“ bezeichnet. Maria, von der heute in kirchlichen Kreisen öfter die Rede sein wird. Zu der wir beten, an die wir denken wollen. Vielleicht ist das Bild, der Vergleich mit der Tapetentür (Gottes) gewagt und ungewöhnlich, aber verständlich und nachzuvollziehen. Maria war doch auch unscheinbar, fast unsichtbar, sich kaum von der Umgebung und des Wirkens Jesu abhebend. Aber sie war die Eintrittstür in eine neue lichterfüllte Zeit. Wer sie öffnet, „er-öffnet“ sich und der bedingungslosen Liebe eine neue Chance. Drutmar Cremer, der bekannte Prior der Abtei Maria Laach, bemüht das gleiche Bild in seinem wunderschönen Marienhymnus zur Weihnachtszeit „Sarabande zur Geburt“: „Du goldenes Haus, Maria, in dir ertönt Musik aus Gottes Herz und Ohr / Du Lichtgestalt! Im Elendsstall gebierst du deinen Sohn – das Menschenkorn / In deine Augen eingebrannt ist eine Feuerspur von Leid / doch Engel gehen deine Wege mit / zum Aufstieg in das Leuchtgestirn der Liebe / die alle Pforten hebt für Zeit und Ewigkeit.“

Alle Türen werden weit. Die Tore weisen den Weg, die Pforte des Lebens setzt ein helles Zeichen der Hoffnung. In Maria schauen wir das Geheimnis unserer Erlösung, öffnen wir die Tapetentür unserer Erlösung.

Ein Hinweis:
Kommen in Jerusalem Einheimische, Pilger oder Touristen aus dem Tal des Gartens Getsemani, betreten sie die Stadt durch das Marientor, weil Maria in der Nähe dieses Stadttores gewohnt haben soll.
Der Ausschnitt aus der Sarabande von Drutmar Cremer ist aus dem uneingeschränkt empfehlenswerten Buch „Im Morgenrot singst du das neue Lied“, Gedichte zu Glasmalereien von Marc Chagall, Grünewald Verlag.