Es gibt Themen, die scheinbar in der Luft liegen. Sie brauchen nur aufgegriffen und „literarisch“ gestaltet zu werden. In jüngster Zeit wurden in Österreich (und in den Medien) das Zölibat und sexuelle Vergehen geistlicher Würdenträger ausführlich diskutiert, und an vielen Stammtischen, in Konferenzzimmern und in kirchlichen Kreisen bemühte man sich um eine Klärung der Verhältnisse und um eine Art des persönlichen Umgangs damit. Eine exakte subtile Sprache, die den Sachverhalten angemessen scheint, kam dabei selten zu Wort. Reißerische Artikel und Stellungnahmen, Vorverurteilungen und Klischees prägten die Auseinandersetzung. Wie aber geht „Literatur“ mit solchen skandalträchtigen, aufsehenerregenden Stoffen um, welche Aufarbeitung kann man von schreibenden Frauen und Männern erwarten?
Evelyn Schlag, eine der „konsequentesten Autorinnen Österreichs“ (Cornelius Hell), hat es gewagt, sich dieser Thematik einer heimlichen verbotenen Liebe eines katholischen Priesters zu einer ge-schiedenen Frau und seiner Versuche, damit leben zu können, anzunehmen. Sie hat daraus einen Roman gestaltet, der zwar zeitlich und topographisch in der österreichischen Kirchenlandschaft angesiedelt ist, aber dennoch nicht primär und ausschließlich auf Tagesaktualität schielt. Evelyn Schlag geht mit dem Versuch, die Gedanken, Gefühle und Lebenssituationen des katholischen Priesters Ulrich Brenneisen aus der Ich-Perspektive zu erzählen, ein ungemein hohes Risiko ein, meistert es aber auf eine absolut beeindruckende Art und Weise, ohne Pathos. Im Gegenteil: In ihrem schlicht klingenden unaufgeregten Tonfall berichtet sie von den kompliziertesten und wesentlichsten Fragen und Antworten des Lebens. Sie tut dies in vielen Rückblenden und kurzen episodenartig aufgebauten Beobachtungsfragmenten.
„Die göttliche Ordnung der Begierden“ ist die Geschichte eines Priesters in einer kleinen niederöster-reichischen Gemeinde, der gerade fünfzig wird und in eine heftige „amouröse Midlife-crisis“ gerät. Ulrich Brenneisen (die Namensgleichheit mit dem Protagonisten von Musils „Mann ohne Eigenschaf-ten“ ist zu vermerken) glaubt sich bis dahin weitgehend sicher vor allen Herausforderungen und Anfechtungen, auch spiritueller Art. Aber der Tod seiner geliebten Hündin wirft ihn aus dem Gleichgewicht.:
„Darf man derart unglücklich über den Tod eines Hundes sein? Habe ich mich selbst gefragt. Das ist doch verrückt. Das ist die Bestrafung für den Hochmut des Priesters, der glaubte, ihm könne nichts passieren. Unsinn, sagt Cordula. Wirklich? Ja, Unsinn. Im Geist lasse ich Cordula jetzt mit diesem Wort das Unheil abwenden, das über uns liegt. Gegen alle Realität lasse ich sie mit einem Wort das Urteil fällen, dass sie nicht wieder gesund werden wird. Dass sie diese Gehirnblutung, die Operation, diesen Tiefschlaf, der mir wie ein Spiel mit dem Tod vorkommt, nicht überstehen wird. Un-sinn.“
(S. 7)
Als Leitmotiv durchzieht die Erinnerung an die Hündin den Erzählstrom. Aber er hat nicht nur sie verloren, er hat seinen Glauben, seine Hoffnung verloren. In seiner Niederschrift notiert er eine Anfrage an Gott:
„Kein schöner Anblick. Ein erwachsener Mann, der den Kopf wie im Krampf schüttelt. Ein Idiot, der versucht hat zu beten. Aber alle Auswege sind versperrt. Ich werde versuchen, wieder wie früher an dich zu glauben, wenn Cordula gesund wird. Aber wenn sie gesund wird, werde ich bei ihr sein wollen, und wie ist das mit meinem Glauben und meinem Beruf zu vereinbaren? Wenn Cordula wieder gesund wird, werde ich sie aufgeben und mich ganz auf meine Aufgabe konzentrieren – unmöglich. Wenn Cordula stirbt, gibt es keinen Grund mehr, irgend jemandem von deiner Güte zu erzählen. Wenn ich dir drohe, warum solltest du mir dann helfen? Wenn du mir hilfst, liebe ich dich.“
(S. 11)
Der Roman ist eigentlich eine Art Tagebuch der vielen Reflexionen Ulrichs in einer Wiener Wohnung eines Freundes, die er braucht, um den nötigen Abstand von den Ereignissen der letzten Monate zu gewinnen. Fern von der Alltagswelt setzt er sich hin und schreibt auf, was passiert ist:
„Wenn ich meine Gedanken nicht zwinge, sich jeweils am vorhergehenden anzuhalten, falle ich in lau-ter Stücke auseinander. Gleichzeitig muss ich mir sagen: Es sind alles nur Sätze. Auch das ist nur ein Satz: Wenn ich das Priesteramt zurücklegen muss, habe ich keine Existenzmöglichkeit mehr. Ist das alles? Überspringe ich damit nicht das Wichtigste: Wenn ich nicht mehr Priester sein darf, kann ich keine Sakramente mehr spenden. Mich nicht mehr der Gewissheit überlassen, dass ich als Werkzeug göttlichen Willens ein Kind taufe, einem Beichtenden die Absolution erteile ...“
(S. 18)
Spät hat er die Liebe seines Lebens, die Sängerin Cordula, gefunden.
„Damals, nachdem Cordula gegangen war, dachte ich zum ersten Mal: Was soll aus mir werden? Wie willst du diese Geschichte geheimhalten? Es gibt doch keine Geschichte, versuchte ich dagegen an-zureden, und hörte schon, was ich mir antworten würde. Mach dir nichts vor, diese Blicke, dieses War-ten, diese Eile in deinem Herzen. Das ist der Anfang der Lügen und Ausreden, des Argumentierens mit deinem Gewissen. Damit eröffnest du die Jagd auf dich. Einen Tag nach meiner Geburtstagsfeier.“
(S. 17)
Die Autorin beschreibt die quälende Gewissenserforschung, aber auch das neuerwachte Bewusstsein von der niegekannten Intensität des Lebens, das dabei zum Vorschein kommt, die Entdeckungen und Rückschritte, umkreist in vielen Einschüben den verbotenen Einbruch in seinem Leben.
„Weißt du, was mich am meisten beruhigt hier? Sagte ich zu Cordula, als wir von der Höhe von Hay Bluff auf die Hügel schauten. Die Schafe? Nein. Die Tatsache, dass uns keiner kennt, keiner einen Verdacht haben kann. Solange man niemanden hintergeht, dürfte es in der Liebe den Begriff Verdacht gar nicht geben. Warum sollte jemand das Recht haben, uns zu verdächtigen? Warum kann man nicht sagen: Es besteht berechtigte Hoffnung, dass die beiden sich verliebt haben? Ich werde das Bild nicht los, als ich vor Cordula aufwachte und sie noch neben mir schlief, das Muster ihres Schlafs auf den Wangen, Tätowierungen, die ihr die Falten des Kissens zugefügt hatten. Meine Zärtlichkeit für sie war etwas, das ich mir nicht nehmen lassen wollte. Ich war der Erwachsene, der ein neues Ich in sich spürte, zugleich war ich derjenige, der durch die Jahre gegangen war und dieses unerhörte Erlebnis mit der Melancholie eines Fünfzigjährigen schätzen konnte. Und wenn es nur das ist, was mir die Priesterjahre ermöglichten, dachte ich. Gleich darauf hasste ich meine Bescheidenheit schon wieder, diese katholische Dankbarkeit, die sich im Notfall sofort mit den größten Katastrophen und Gemeinheiten verbündet, indem sie ihnen einen Sinn zugesteht. Die gesunde Reaktion wäre Zorn auf meine Gelübde, die mir das vorenthalten hat.“
(S. 91)
Schlag vermied die Versuchung, genüsslich Tabus zu brechen und sich spekulativ an kirchlicher Scheinmoral zu reiben oder zu ergötzen. Sie schrieb ein sehr verhaltenes Buch, das sich durch viele psychologische Nuancen und Alltagsperspektiven auszeichnet, eine genaue Darstellung einer Provinzgesellschaft und ihrer banalen Beziehungskrisen bietet und das alles mit einer „pointillistischen Genauigkeit“ (Anna Mitgutsch), die selten zu finden ist. Dazu kommt, dass der Text nicht plump denunziatorisch mit dem katholischen Milieu umgeht, sondern einfühlsam – für mich zumindest - und ohne besserwisserische Verurteilung auskommt. Als ein Beispiel unter vielen mag das letzte Zitat stehen:
„Manche Sätze Cordulas bedeuten etwas anderes, aber ich kann meine Empfindungen nicht im nachhinein korrigieren. Ich werde das alles nie anders erlebt haben als so, wie es hier festgehalten ist.
Mit einer Einschränkung. Vielleicht habe ich hier, am Vulkanschreibtisch oder drinnen im Wohnzimmer (so genau ist das zu begrenzen), manchmal mehr empfunden als zum Zeitpunkt des Erlebens. Ich schrieb mich heiß. Hier erst habe ich auch eine Ahnung davon bekommen, dass man die Liebe lieben muss (wie Augustinus: Liebe liebend, suchte ich, was ich lieben möchte) und dass das am besten durch das Suchen von Wörtern entsteht. Dass man die Liebe zu einem Kunstwerk machen kann. Jeder, der sprachlos bleibt, kommt mir unendlich arm vor. Er sucht Zuflucht bei Sätzen eines anderen. Er meidet die eigene Person. Ich würde für das, was ich mit Cordula erlebt habe, keine Worte mehr finden. Unsinn.“
(S. 174)
Der Roman erzählt von der Liebe, dem Ernstfall des Christentums in den vielfältigen Formen. Im Roman erinnert sich Ulrich auch an den Augenblick, als er zum ersten Mal unter Cordulas Decke schlüpft: „Mein Herz schlug so deutlich seine Botschaft: Dies ist ein Ernstfall.“ Aber „leergebetet“ kann Ulrich nicht mehr recht glauben, doch er entdeckt die Unbedingtheit der Liebe und das Mysterium des Eros. Das Ende bleibt offen. Wie es weitergeht, mit Ulrich und seiner Erfahrung von Liebe, wie sie ihn verwandelt oder verstört, das lässt Evelyn Schlag im Ungewissen. Ein Buch, das zu vielen Gesprä-chen anregen kann und viele Fragen stellt. Stellung beziehen und Antworten suchen müssen wir selber. Ein herausforderndes und aufregendes, im Ton schwebendes Buch für Religionslehrer/innen, die viel mit Priestern zu tun haben.
Evelyn Schlag, geboren 1952 in Waidhofen/Ybbs, wo sie auch heute noch lebt. Studium der Germanistik und Anglistik. 1997 erhielt sie den Anton-Wildgans-Preis. Im Residenz-Verlag erschien 1995 „Unsichtbare Frauen“.
(veröffentlicht in den CPB 3/99 unter der Rubrik Umgeblättert)
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