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Helmut Loder - Rezensionen und Buchempfehlungen - Der Waschzettel

Paulo Coelho
Der fünfte Berg

Sein erstes Buch in deutscher Sprache Der Alchimist hat seine Leser von der ersten Seite an in seinen Bann gezogen – sagen die einen – und auch mit dem nächsten Opus Am Ufer des Rio Piedro saß ich und weinte hat der brasilianische Autor Paulo Coelho viele Menschen mit definitiv religiösen Themen und Fragestellungen konfrontiert. Als drittes Buch liegt nun schon seit einiger Zeit in der Übersetzung von Maralde Meyer-Minnemann die Geschichte des Propheten Elia vor: „Der Fünfte Berg“.

Ein religiöses Buch von einem Bestseller-Autor in den oberen Rängen der Literatur-Charts? Der japanische Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe beschrieb Coelho als einen „Alchimisten der Literatur“ und der Norddeutsche Rundfunk Hamburg befand: „Coelho ist (besser: schreibt) Literatur für Menschen, die zwischen den Buchdeckeln eher Wärme suchen als Aufregung, die sich vom Sog jener einfachen Weisheiten mitreissen lassen, die auch Bücher wie Jostein Gaarders Sofies Welt oder Susanna Tamaros Geh, wohin dein Herz dich trägt so erfolgreich gemacht haben. Literatur als Lebenshilfe, als Zauber des Wesentlichen.“

Worum geht es nun in diesem Buch? Coelho erzählt von der „Berufung“ des Elia, versetzt uns 3000 Jahre zurück ins Jahr 870 vor Christus, als Gott dem Elia befahl, Israel zu verlassen und ins Exil zu gehen. Ausgehend von einer kurzen Bibelstelle (1. Könige 17,8-24), entwickelt Coelho in einer ruhigen, sehr behutsamen und aufmerksamen bildkräftigen Sprache, die oft genug die Qualität einer intensiv verdichteten biblischen Erzählung erreicht, die (frei ausgeschmückte) Geschichte vom jungen Rebellen und Tischler Elia, vom Propheten wider Willen, der vor den Häschern der assyrischen Prinzessin Isebel nach Phönizien fliehen muss, wo er in einer kleinen Stadt Zarpat (= Akbar) von einer jungen Witwe aufgenommen und gerettet wird. Anfangs wird er noch als Fremder ausgeschlossen und zum Sündenbock für alles Unheil, das über die Stadt und das Land hereinbricht, gestempelt, im Laufe der Zeit aber kämpft er mit den Bewohnern der Stadt um das Überleben, scheitert zwar vordergründig und unterliegt, aber er rafft sich auf und organisiert den Wiederaufbau, den Neuanfang, ehe er wieder aufbricht nach Hause, nach Jerusalem, zur Befreiung des Volkes Israel.

Im ersten Teil erfahren wir hautnah von der Bedrohung des 23jährigen Elia, nachdem er seinem Auftrag endlich nachgekommen ist und dem König Ahab geweissagt hat („So wahr der Herr, der Gott Israels lebt: Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen,...“ bis eben der Kult der Götter der Phönizier aufgegeben werde!), von seiner Flucht, von seiner wunderbaren Errettung durch den Raben und von der Aufnahme bei der jungen Witwe in der Stadt Akbar.

„Wenn mich jemand um einen Gefallen bittet, dann zeigt das, dass ich auf Erden noch etwas wert bin“, dachte sie. „Ich werde tun, worum er mich gebeten hat, nur um sein Leiden zu lindern. Auch ich weiss, was Hunger heisst und wie er die Seele zerstört.“

Sie ging ins Haus und kam mit einem Stück Brot und einem Krug Wasser zurück. Sie kniete nieder, bettete den Kopf des Fremden in ihren Schoss und begann seine Lippen zu benetzen. Wenige Minuten darauf hatte er das Bewusstsein wiedererlangt.

Sie streckte ihm das Brot hin, und Elia aß wortlos, blickte auf das Tal, die Schluchten und die Berge, die schweigend zum Himmel wiesen. Er konnte das ganze Tal überblicken und sah die roten Mauern der Stadt Akbar.
„Gebt mir Herberge bei Euch, denn ich werde in meinem Land verfolgt“, sagte Elia.

„Was für ein Verbrechen habt Ihr begangen?“ fragte sie.
„Ich bin ein Prophet des Herrn. Isebel ließ alle töten, die sich weigerten, ihre phönizischen Götter an-zubeten.“
„Wie alt seid Ihr?“

„Dreiundzwanzig“, antwortete Elia.

Sie blickte den jungen Mann vor sich voller Mitleid an. Er hatte langes, schmutziges Haar; er trug einen spärlichen Bart, als wollte er älter aussehen, als er tatsächlich war. Wie wollte ein armseliger Mann wie er die mächtigste Prinzessin der Welt herausfordern?

„Wenn lhr lsebels Feind seid, seid Ihr auch mein Feind. Sie ist eine Prinzessin aus Sidon, die es sich bei ihrer Heirat mit Eurem König zum Ziel gesetzt hat, Euer Volk zum wahren Glauben zu bekehren. So sagen jedenfalls die, die sie kennen gelernt haben.“

Sie wies auf den Gipfel eines der Berge, die das Tal umschlossen.

„Unsere Götter wohnen seit vielen Generationen dort oben auf dem Fünften Berg, und durch sie haben wir Frieden in unserem Land. Israel hingegen lebt im Krieg und im Leid. Wie könnt Ihr da weiter an den Einzigen Gott glauben? Lasst Isebel etwas Zeit, und ihr werdet sehen, dass auch in Euren Städten Frieden herrschen wird.“
„Ich habe die Stimme des Herrn vernommen“, entgegnete Elia. „Ihr Phönizier seid jedoch nie auf den Fünften Berg gestiegen, um Euch dort oben umzusehen.“
„Wer auf diesen Berg steigt, den verbrennen die himmlischen Feuer. Die Götter mögen keine Frem-den.“
Sie hielt inne. Sie erinnerte sich, dass sie in jener Nacht im Traum ein sehr helles Licht gesehen hatte. Mitten aus diesem Licht aber war eine Stimme gekommen, die gesagt hatte: „Nimm den Fremden auf, der dich aufsuchen wird.“

„Beherbergt mich bei Euch, denn ich habe keinen Ort, an dem ich schlafen kann“, beharrte Elia.

„Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich arm bin. Es reicht kaum für mich und meinen Sohn.“

„Der Herr hat Euch gebeten, mich bei Euch aufzunehmen. Er verlässt den nie, der ihn liebt. Tut, um was ich Euch bitte. Ich werde für Euch arbeiten. Ich bin Tischler, ich kann mit Zedernholz arbeiten und es wird mir an Arbeit nicht mangeln. So wird der Herr meine Hände benutzen, um Sein Versprechen zu halten: Das Mehl im Rad soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln, bis auf den Tag, da der Herr regnen lassen wird auf Erden.“

„Selbst wenn ich es wollte, so könnte ich Euch nicht bezahlen.“

„Das braucht ihr nicht. Der Herr wird es richten.“
Von ihrem Traum in jener Nacht verwirrt, beschloss die Frau zu gehorchen, obwohl der Fremde ein Feind der Prinzessin von Sidon war.
(Seite 37/38)

Coelho sagte in einem Interview: „Es geht (mir) um die Dinge, die man nicht erwartet, um das, was sich nicht verbinden lässt. Im Leben stoßen einem Sachen zu, durch die man einfach hindurch muss: Du musst dann den Kampf aufnehmen ...Das Grundlegende ist der Stoff, dann geht es aber auch um den Stil. Ich versuche, einfach zu bleiben, ohne seicht zu werden.“ (Buchkultur 6/97, S. 23)
Als der Sohn der Witwe stirbt, wird Elia beschuldigt, der Verursacher des Todesfalles zu sein, und er wird gedrängt, auf den Fünften Berg zu steigen. Ebendort empfängt er eine Weisung des Herrn:

Die Nacht brach herein, und der Nebel hob sich. Er konnte ins Tal hinunter sehen, zu den Lichtern von Akbar und den assyrischen Lagerfeuern; er hörte Hundegebell und die Kriegsgesänge der Soldaten.

„Ich bin bereit“, sagte er zu sich selbst. „Ich habe akzeptiert, ein Prophet zu sein, und habe mein Bestes gegeben... Doch ich habe versagt, und jetzt braucht Gott einen anderen.“ In diesem Augenblick kam ein Licht auf ihn hernieder.

„Das Feuer des Himmels!“

Das Licht blieb jedoch vor ihm stehen. Und eine Stimme sprach:
„Ich bin ein Engel des Herrn.“ Elia kniete nieder und berührte mit dem Gesicht die Erde.

„Ich habe Euch schon mehrfach gesehen und habe dem Engel des Herrn gehorcht“, antwortete Elia, ohne den Kopf zu heben. „Ihr lasst mich Unheil säen, wohin ich komme.“

Doch der Engel fuhr fort „Wenn du in die Stadt zurückkehrst, bitte dreimal, dass der Junge wieder lebendig wird. Beim dritten Mal wird der Herr dich erhören.“

„Warum soll ich das tun?“

„Um der Grösse Gottes willen.“

„Auch wenn ich dieses tun würde, so habe ich doch schon an mir selbst gezweifelt. Ich bin meiner Aufgabe nicht würdig“, entgegnete Elia.

„Jeder Mensch hat das Recht, an seiner Aufgabe zu zweifeln und sie hin und wieder aufzugeben; was er allerdings nicht tun darf, ist, sie zu vergessen. Wer nicht an sich selbst zweifelt, ist unwürdig, weil er seiner Fähigkeit blind vertraut und sich aus Stolz versündigt.

Gesegnet sei der, der Augenblicke der Unentschlossenheit durchlebt.“

„Ihr seht doch selbst, dass ich mir eben noch nicht einmal sicher war, ob Ihr ein Gesandter Gottes seid.“

„Geh und tu, was ich dir sage.“
(Seite 52/53)

Im zeitweise etwas langatmigen Mittelteil mit der ausführlichen Schilderung des politischen Ränkespiels und der kriegerischen Situation der assyrischen Belagerung und der Lösungsversuche durch den gegnerischen Priester und Stadtkommandanten hängt der Roman ein wenig durch. Langsam aber lichten sich die Nebel um die Zukunft der Stadt und des Schicksals von Elia um den „Fünften Berg“ und der Schlußteil gehört zu den ansprechendsten Teilen des Buches. Auf eine berührende Weise beschreibt Coelho hier die wachsende Liebe zur Witwe: Elia verliebt sich nur widerstrebend, aber als er endlich soweit ist, sich und der Witwe die Liebe einzugestehen, verliert er sie in den Wirren der Kämpfe.

Seit der Israelit in ihr Leben getreten war, hatte sich alles verändert. Sogar die Armut war leichter zu ertragen, denn dieser Fremde hatte etwas in ihr geweckt, das sie nie zuvor gekannt hatte: die Liebe. Als ihr Sohn krank geworden war, hatte sie gegen ihre ganze Nachbarschaft gekämpft, um den Fremden bei sich im Haus zu behalten. Sie wußte, dass für ihn von allem, was unter dem Himmel geschah, der Herr am wichtigsten ... Dennoch würde sie ihn weiter lieben, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren hatte, was Freiheit war. Dies war die Freiheit: fühlen, was ihr Herz begehrte, egal, was die anderen davon halten mochten.

Elia führt aus:

„Ich glaube, dass der Friede der einzige Weg ist. Doch ich glaube nicht, dass auf dem Gipfel des Berges Götter wohnen. Ich war dort.“

„Und was habt ihr gesehen?“

„Einen Engel des Herrn. Ich habe diesen Engel schon zuvor an anderen Orten, durch die ich gekommen bin, gesehen“, entgegnete Elia. „Und es gibt nur einen Gott.“
Der Priester lachte.

„Soll das heissen, dass Eurer Meinung nach derselbe Gott den Sturm und das Getreide geschaffen hat, obwohl dies vollkommen verschiedene Dinge sind?“

„Seht ihr den Fünften Berg?“ fragte Elia. „Von allen Seiten sieht er anders aus, obwohl es immer derselbe Berg ist. So ist es mit allem, was geschaffen wurde: Viele Gesichter des einen Gottes.“

Am Ende des Buches lässt Coelho den Propheten Elia (zu seinem angenommenen Sohn) sagen:

„Komm an diesen Ort zurück, wenn du mich brauchst. Und blicke nach Jerusalem hinüber: Ich werde dort sein und versuchen, meinem Namen, Befreiung, einen Sinn zu geben. Unsere Herzen sind auf immer verbunden.“
„Hast du mich deshalb auf den Gipfel des Fünften Berges gebracht? Damit ich Israel sehen kann?“

„Damit du das Tal sehen kannst, die Stadt, die anderen Berge, die Wolken. Der Herr pflegt Seine Propheten auf die Berge steigen zu lassen, um mit ihnen zu reden. Ich habe mich immer gefragt, warum, und jetzt weiß ich es. Von hoch oben sehen wir alles ganz klein. Unsere ruhmreichen Momente und unsere Trauer werden weniger wichtig. Was wir errungen oder verloren haben, bleibt unten im Tal. Vom Gipfel des Berges siehst du, wie groß die Welt ist und wie weit ihre Horizonte.“
(Seite 218)

Ein interessantes, für mich absolut lesenswertes Buch. Süffig und in der Sprache einer stillen Weisheit. Aus dem Wissen heraus, dass es gut tut, sich dem Anruf Gottes zu stellen und immer wieder nach dem je eigenen Auftrag zu fragen.

Zum Autor

Paulo Coelho, geboren 1947 in Rio de Janeiro, begann nach ausgedehnten Reisen zu schreiben. Mit seinem Weltbestseller Der Alchimist wurde er neben „Gabriel Garcia Marquez der meistgelesenste lateinamerikanische Schriftsteller der Welt.“ Alle Bücher Coelhos sind im Diogenes Verlag Zürich erschienen.

(erschienen in CPB 3/98 in der Rubrik Umgeblättert)

Helmut Loder

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